Der lange Weg von der Langstrasse ins Lochergut

Es ist früh am Morgen, und Nuri Kadrii spaziert von seiner Wohnung im Lochergut zum Tramdepot Kalkbreite, wo sein Tram auf ihn wartet. Von seinen vorherigen Wohnorten ausserhalb Zürichs musste er oft mit dem Auto zur Arbeit fahren. Denn für die Frühschicht eines Chauffeurs der öffentlichen Verkehrsmittel gibt es noch keine ÖV-Verbindungen.

Zwischen zwei etwa vierstündigen Einsätzen haben Tramchauffeur:innen meist eine dreistündige Pause. Dies scheint lange, ist aber nicht lange genug, um nach Hause zu gehen oder sich effektiv zu erholen – und führt dazu, dass sich ein normaler Arbeitstag wie elf Stunden anfühlt.

Aus diesen und vielen weiteren Gründen engagiert sich Nuri Kadrii, der seit sechzehn Jahren bei der VBZ arbeitet, aktiv als Vorstandsmitglied des VPOD VBZ und seit Kurzem auch in der SP4 – im Kampf für faire Arbeitsbedingungen und gegen eine weitere Umverteilung von unten nach oben.

«Das Kapital» als Einstieg

Nuri Kadriis politisches Engagement erwacht 2019, als er in Widen im «Bonzenaargau», wie er es nennt, lebt. Teure Autos als Elterntaxis, die Ferienziele der Mitschülerinnen seiner Tochter: USA, Dubai und die Malediven. Die Reiseziele seiner Tochter: Zoo Zürich, vielleicht mal Tessin.

Er merkt erstmals so richtig, dass er nicht in Privilegien schwimmt – sein Klassenbewusstsein erwacht. Als Einstieg kämpft er sich durch «Das Kapital» von Karl Marx.

Nach einigen Jahren in Widen folgt kurz vor Weihnachten 2022 die Sanierungskündigung. Nuri Kadrii gibt nicht auf und hat nur ein Ziel: eine Wohnung in der Nähe seines Arbeitsorts. Er trägt sich bei allen Genossenschaften auf Wartelisten ein, bewirbt sich auf städtische Wohnungen. Doch die Einladungen zu Wohnungsbesichtigungen bleiben rar. Der Name als Grund – eine unbestätigte Vermutung.

Irgendwann klappt es beim städtischen Zufallsgenerator für eine Besichtigung im Lochergut. Die Zusage kommt am feministischen Streiktag 2023.

Nuri Kadrii wohnt jetzt wieder im Kreis 4. In diesem hat er vor knapp 40 Jahren mit seiner Familie, die aus Nordmazedonien stammt, sein erstes Lebensjahr verbracht: in einer 1-Zimmer-Wohnung vis-à-vis des Kanzleischulhauses an der Langstrasse, mit gemeinschaftlichem Bad und Küche.

Das Auto kann er verkaufen – in der Stadt braucht man es nicht. Dank dem kurzen Arbeitsweg hat er auch mehr Zeit, sich politisch zu engagieren – zum Beispiel im Abstimmungskampf für ein VBZ-Abo für 365 Franken, über das wir Ende September 2025 abgestimmt haben.

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